Inhalt
Der Beitrag bezieht sich auf die Behandlung vorgeburtlicher und geburtlicher Storungen im Rahmen einer bindungsorientierten Psychotherapie. Die PPP: ¨ Pr¨a- und Perinatal orientierte Psychotherapie stellt das Trauma des Existenzwechsels (pr¨anatale versus postnatale Welt) in den Vordergrund. Im theoretischen Teil wird das Konzept des bipolaren Selbst dargestellt, welches die pr¨anatale Bindung in ihrer Auswirkung auf psychische Entwicklungsprozesse des Menschen aufzeigt. Das therapeutische Ziel der PPP-Methode ist, den Klienten von seinem prim¨arnarzisstischen Zustand zu seiner psychischen Geburt zu begleiten, um einen geburts¨ahnlichen Ubergang von der Selbstbe- ¨ zogenheit zur Objektbezogenheit zu bewirken. Die pr¨anatale Psychotherapie beschr¨ankte sich lange Zeit auf die Pr¨avention und Regulation der pr¨a- und fruher postnatalen Bin- ¨ dung zwischen Mutter und Kind. Die Urv¨ater der pr¨anatalen Psychologie, Otto Rank und Gustav Hans Graber (1924) beschrieben die Personlichkeitsentwicklung des Menschen im ¨ Hinblick auf die pr¨a- und perinatale Existenz. Wenn man den Urwiderstand als die grundlegendste existenzielle Form der Abwehr interpretiert, so stellt die Auseinandersetzung mit dem Trauma des Existenzwechsels die grosste Herausforderung des psychotherapeu- ¨ tischen Prozesses dar. Die menschliche Entwicklung setzt gelungene Bindungsprozesse voraus, deren Wurzeln bis in den pr¨anatalen Bindungsraum (Raffai 1996) zuruckreichen ¨ konnen. Die prim ¨ ¨aren Bindungsprozesse h¨angen mit der Beschaffenheit und Funktion von Resonanzerfahrungen im Mutterleib zusammen. Es wird die Entfaltung des Selbst auf zwei Ebenen der Bindung gezeigt, als Interpersonelle und Essenzielle Bindung definiert. Wie die Qualit¨at der pr¨anatalen Bindung die postnatale Identit¨asentwicklung beeinflusst, zeigt das Modell des bipolaren Selbst. Die Theorie des bipolaren Selbst wird anhand von Grafiken und Illustrationen erl¨autert. Die Interpersonelle Bindung, die bereits pr¨anatal etabliert wird, h¨angt von der Qualit¨at der interorganismischen Mutter-Kind-Konstellation ab. Wenn sie mangelhaft ist, schutzt sich das Selbst durch Spaltungsprozesse, indem eine ¨ Ganzheit auf der Ebene der Kernidentit¨at – genannt Essenzielle Bindung – angestrebt wird. Das impliziert die These, dass unabh¨angig von der Tiefe der fruhen Traumatisie- ¨ rung jeder Mensch ein Potenzial zur Transformation des Traumas des Existenzwechsels hat. Auf dem Freudschen Konzept des prim¨aren Narzissmus basierend, untersuchten Bel`a Grunberger (1971) und Andr´e Green (2004) dessen pr¨anatale Wurzeln. Das Konzept des bipolaren Selbst (Jakel 2001, 2004, 2008) baut auf diesen Ideen auf. Es nimmt an, dass die pr¨anatale und perinatale Traumatisierung das geschlossene prim¨arnarzisstische System errichtet, spezifische Formen der Selbstbezogenheit pr¨agend. Prim¨are Konflikte auf der Ebene der Bindung versus Abwehr determinieren das postnatale Schicksal des vorgeburtlichen Selbst. Die Theorie und Praxis der Pr¨a- und Perinatal orientierten Psychotherapie in Bezug auf das Behandlungskonzept, die methodologische Basis, therapeutische Implikationen sowie die Rolle der Therapeutin werden definiert. Die These der pr¨atraumatischen Ganzheit des Menschen postuliert eine bindungsorientierte Behandlung, um die pr¨a- und perinatale Traumatisierung therapeutisch zu losen. Diese Haltung erkl ¨ ¨art die Notwendigkeit der Analyse der Urwiderst¨ande, aber auch der Traumarekonstruktion auf der Basis des impliziten Ged¨achtnisses. Es wird erwogen, auf welche Weise die pr¨a- und perinatale Traumatisierung zur Isolation des Selbst fuhren kann; als dissozierter Teil der Pers ¨ onlichkeit ¨scheint sie den pr¨anatalen Ursprung menschlicher Identit¨atsentwicklung zu markieren.